Die Situation der Flüchtlinge und die Herausforderungen für Marburg standen im Zentrum des Parteitags der Marburger SPD am 10. Oktober im Moischter Bürgerhaus. Rund 50 Genossinnen und Genossen waren erschienen, dazu zahlreiche Gäste. Der Vorstand der Marburger SPD hatte explizit Vereine und Initiativen eingeladen, die sich in Marburg mit Flüchtlingen beschäftigen, und zur Beteiligung an der Diskussion aufgerufen.
Solidarität mit den Kurden im Nahen Osten
Doch gleich zu Beginn bekam ein anderes Thema Aufmerksamkeit. Etwa 30 kurdische Demonstranten betraten den Saal. Sie forderten von der Marburger SPD Solidarität und Unterstützung insbesondere für die Menschen im von der sog. Islamischen Staat (IS) bedrohten Kobane. Deutliche Worte fanden die Demonstranten für die Haltung der Türkei, die nicht nur tatenlos zusehe, sondern insgeheim den IS unterstütze, um die Kurden insgesamt zu schwächen.
Angesichts der bedrückenden Lage im Norden Syriens hatte der Fraktionsvorsitzende Steffen Rink in Abstimmung mit der Vorsitzenden der Marburger SPD, Monika Biebusch, einen Initiativantrag vorbereitet, der vor Beginn des Parteitags bereits vom Stadtverbandsausschuss volle Unterstützung fand. Steffen Rink machte deutlich, dass die Unterstützung für die Kurden deutlich verstärkt werden muss. Er forderte, dass westliches Militär an der Grenze zu den Kampfgebieten nicht zuschauen dürfe, wie weiterhin Menschen hingemetzelt werden. Es ist eine Schande für die westliche Welt und unseren Anspruch auf die Geltung der Menschenrechte, wenn aus Gründen ‚politischer Opportunität‘ heraus den Kurden die Unterstützung versagt wird, die sie dringendst benötigen, um eine Chance auf Überleben zu haben. Das aber der Einsatz von Waffengewalt auf Dauer keine Lösung sein könne, macht der Antrag ebenso deutlich: Auch wenn wir anerkennen, dass das gegenwärtige Morden Unschuldiger nicht ohne militärisches Eingreifen beendet werden kann, müssen wir in der Zukunft umso mehr daran arbeiten, dass Konflikte in der Welt ohne den Einsatz von Waffen gelöst werden. Dazu der Fraktionsvorsitzende auf dem Parteitag: "Für mich geht der Antrag nur mit diesen beiden Teilen. Wir erleben seit Jahren eine verstärkte Akzeptanz militärischer Maßnahmen, sogar ohne UNO-Beschlüsse. Diese Kriegslogik muss durchbrochen werden."
Zur Lage der Flüchtlinge
Flüchtlinge sind ein emotional besetztes Thema. Deshalb hat der Parteivorastand Dr. Ulrike Krause vom Zentrum für Friedens- und Konfliktforschung eingeladen, zu Beginn der Beratungen über die Lage von Flüchtlingen, die gegenwärtige internationale Situation und die rechtlichen Rahmenbedingungen zu informieren. In einem sehr klaren, unaufgeregten und dafür umso eindringlicheren Vortrag stellte Dr. Krause zu Beginn ihrer Ausführungen fest, dass eigentlich viele Gruppen angesichts ihrer Lage Grund genug hätten ebenfalls wie die Kurden heute auf dem Parteitag zu demonstrieren. Sie zeigte auf, wie viele Menschen auf der Welt auf der Flucht sind, welch großen Beitrag, die an die Krisenregionen grenzenden Länder bei der Aufnahme von Flüchtlingen leisten, aber auch, dass 20 Jahre Leben in einem Flüchtlingslager mehr Normalfall als Ausnahme sind. Auch dass Europa keine rühmliche Rolle spielt, wurde mehr als deutlich. So fand das von Italien initiierte Rettungsprogramm für Bootsflüchtlinge Mare Nostrum über Italien hinaus viel zu wenig Geldgeber, stattdessen patrouilliert nunmehr verstärkt "Frontex".
In einem einstimmig verabschiedeten Antrag fordert die Marburger SPD ihre VertreterInnen im Bundestag und im Europaparlament auf, sich dafür einzusetzen, dass einerseits Europa insgesamt Verantwortung für die Aufnahme von Flüchtlingen übernimmt und dass es auf der anderen Seite endlich legal möglich sein muss, als Flüchtling nach Europa zu kommen. Europa braucht ein neue Flüchtlingsordnung mit gerechter Verteilung der Menschen auf die einzelnen Länder.
Die Entwicklungen in Stadt und Kreis
Im Folgenden galt die Aufmerksamkeit der Delegierten der Situation vor Ort. Landrätin Kirsten Fründt und Oberbürgermeister Egon Vaupel schilderten die bereits in die Wege geleiteten Schritte, um den Flüchtlingen nicht nur eine gute Ankunft, sondern auch ein gutes Leben in Marburg und im Landkreis zu ermöglichen. Deutlich wurde, dass die Anstrengungen Flüchtlinge willkommen zu heißen und ihnen eine Perspektive zu eröffnen, nicht erst jetzt begonnen haben, sondern das Organisationen, Schulen und natürlich auch Stadt und Kreis selbst schon vieles auf den Weg gebracht haben. Allerdings seien auch die Kapazitätsgrenzen bereits sichtbar. Die Marburger SPD stellt in einem ebenfalls einstimmig verabschiedeten Antrag klar, dass Land und Bund endlich mehr Geld zur Verfügung stellen müssen, um die Kosten für die engagierte Arbeit vor Ort nicht länger zu großen Teilen den Kommunen aufzubürden. Eine angemessene Unterbringung und Begleitung von Flüchtlingen ist auch deshalb wichtig, weil es im Moment noch eine eher positive Haltung der einheimischen Bevölkerung gegenüber jenen gibt, die bei uns Schutz suchen. Deshalb muss ein gutes Miteinander gefördert werden. Darauf ging auch Uli Severin, sozialpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, ein. "Wir müssen gute Nachbarschaft fördern. Integration gelingt durch Beziehungen, Kontakte, Begegnungen." In diesem Sinne unterstützt die Marburger SPD auch die Zusammenkunft aller, die mit der Flüchtlingsfrage befasst sind. Unser Oberbürgermeister Egon Vaupel wollte nicht erst auf einen weiteren Parteitagsbeschluss warten, sondern hatte bereits für den 28. Oktober zu einem Treffen eingeladen, das alle Akteure an einen Tisch bringt und die Vernetzung und adäquate Hilfe unterstützen soll.
In den Beiträgen der Gäste, z. B. vom Hessischen Flüchtlingsrat, dem Projekt "BLEIB in Hessen" oder der Schulsozialarbeit an der Adolf-Reichwein-Schule, wo spezielle Flüchtlingsklassen eingerichtet sind, wurde ebenfalls die Unterstützung für das Engagement der Stadt bekundet, zugleich aber auch noch einmal auf die wachsenden Herausforderungen hingewiesen. "Es ist gut, dass sich die Marburger SPD auf einem Parteitag des Themas annimmt", sagte Egon Vaupel, "und ein großes Lob für den Parteivorstand und unsere Vorsitzende Monika Biebusch, das jetzt und in dieser Weise zu tun. Wieder einmal ist es die Sozialdemokratie, die es sich nicht einfach macht, sondern über eine Herausforderung an die gesamte Stadtgesellschaft diskutiert und nach Wegen der Hilfe sucht."
Platz der Kulturen
Den Abschluss des Parteitags bildete ein weiterer Initiativantrag, den Egon Vaupel angeregt hatte: Der Platz zwischen neuer Stadthalle und Hörsaalgebäude soll künftig "Platz der Kulturen" heißen. Vor wenigen Tagen hatte Marburg ein friedliches und fröhlichees Fest der Kulturen vor dem KFZ erlebt, das vom Ausländerbeirat veranstaltet mit Unterstützung vieler, vor allem des KFZ, veranstaltet wurde. Wenn das KFZ in die neue Stadthalle umzieht, sollte auch dieses Fest am Tag der Deutschen Einheit mit umziehen. Mit der neuen Benennung des Platzes, so Egon Vaupel, setzen wir ein Signal für die Offenheit und Toleranz, die ein Kern des Lebensgefühls in unserer Stadt ist.
Präsentation Dr. Krause, Zentrum für Konfliktforschung und Anträge
Bericht der Oberhessischen Presse vom 12. Oktober 2014
141010 Bilder vom Parteitag