Martin Schulz hat es gerade gelesen, das ZDF verfilmt den Roman und hier kann man schon einmal einen virtuellen Dorfrundgang durch Unterleuten (Unterleuten) machen. Wer sich auf der Internetseite zum Roman bewegt, kann nur erahnen, welche zwischenmenschlichen Kräfte in dem Dorf aufeinanderprallen und manchmal feine, aber auch brachiale Wirkung auf das Zusammenleben in der Dorfgemeinschaft entfalten. Das Projekt für einen Windpark bietet den aktuellen Anlass, an dem sich teils uralte Konflikte zwischen den Bewohnern des kleinen Dorfs in Brandenburg entzünden. Das Feuer findet neue Nahrung durch die kulturellen Missverständnisse zwischen den alteingesessenen Dorfbewohnern und den Zugezogenen, die aus dem Trubel der Hauptstadt in die vermeintliche Ruhe aufs Land geflüchtet sind.
Auch wenn das Windkraftprojekt nur der Auslöser für die mitreißende Geschichte ist, können politisch Interessierte regelrecht erspüren, welchen Gefahren die Energiewende als Gemeinschaftswerk für die Zukunft (Töpfer-Kommission nach Fukushima 2011) ausgesetzt ist. Findet doch die Windkraftentwicklung dezentral verteilt vor den Toren der Dörfer und Städte der Republik statt. Die Ungetüme der vergleichsweise wenigen Kohle- und Atomkraftwerke bekommen manche Menschen ihr ganzes Leben lang nicht zu Gesicht, für viele spielen sie im Alltag keine Rolle. Ihre verheerenden Wirkungen bei der Vergiftung von Boden, Wasser und Luft muss man sich ins Gedächtnis rufen, direkt wahrnehmbar sind sie für viele nicht. Anders ist das bei Windenergieanlagen. Sie sind für viele Menschen sichtbar.
Der Klimawandel bedroht uns mit empfindlichen Gefahren Die Vento Direct hat sich zur Aufgabe gesetzt, Lösungen anzubieten. Pilzjunge
Da schneit ein junger Schnösel (genannt Pilzjunge) mit seiner durchdesignten Power-Point-Präsentation in Unterleuten herein, der das Windprojekt seiner Firma anpreist, und erzählt etwas vom Klimaschutz von einem Ding, mit dem hier niemand etwas zu tun hat. Viele Dorfbewohner haben den Eindruck, dass es sich dabei um ein vorgeschobenes moralisches Argument handelt, und am Ende würde es doch wieder nur ums Geldverdienen von ein paar Wenigen gehen. Ganz im Sinne der marktkonformen Demokratie Angela Merkels, in der der die Geschwister Alternativlosigkeit und Sachzwang regieren.
Von hier an beginnt ein Ränkespiel im Dorf, das für sich genommen schon spannend genug ist, auch wenn man kein Interesse an Energiewende-Politik hat. Für alle, die zusätzlich interessiert, wie die Energiewende gelingen kann oder welche Dynamiken in der Kommunalpolitik eine Rolle spielen, ist der Roman eine wahre Fundgrube. Wie immer bei Juli Zeh werden die Hauptfiguren mit viel Aufmerksamkeit und Liebe, aber auch schonungslos mit all ihren Bizarrheiten und Abgründen seziert, bevor sie aufeinanderprallen.
Manchen mag es übertrieben vorkommen, welches Bild hier von Menschen gezeichnet wird. Wer sich nicht mehr darüber wundern möchte, wie sich Konflikte im Zusammenleben hochschaukeln können, obwohl alle das Gute wollen, sollte die Möglichkeit nutzen und hinter die Kulissen des Dorfs Unterleuten schauen. Jeder mag andere Schlüsse ziehen. In einem fühle ich mich bestärkt: Die sog. marktkonforme Demokratie ist eine Gefahr für alle politischen Ideen, die Gemeinschaft stärken möchten. Funktionieren wird die Energiewende nur, wenn wir uns wirklich auf das Leitbild einlassen, das im Grundgesetz angelegt ist: Dem Aufbau der Demokratie von unten nach oben (Bundesverfassungsgericht) mit einer funktionsfähigen und lebendigen kommunalen Selbstbestimmung. Das setzt voraus, dass Städte und Gemeinden auf öffentliche Aufgaben zugreifen können, die in Vielem lokal gelöst werden können. Wenn Städte und Gemeinden mehr Spielraum zur Gestaltung einer neuen örtlichen Energieversorgung bekommen, ist mir um die Energiewende nicht bange. Dann werden die Menschen ihre Schaffenskraft dafür einsetzen, den Nutzen für lokale Wertschöpfung, neue Arbeitsplätze und dauerhaft stabile Energiepreise zu heben, der mit der Energiewende verbunden ist.
Ihr Fabio Longo
Dr. Fabio Longo ist Stadtverordneter und energiepolitischer Sprecher der SPD-Fraktion in der Marburger Stadtverordnetenversammlung
PS. Wer nachlesen möchte, welche örtliche Energiepolitik die Marburger SPD verfolgt, kann dies im Wahlprogramm unter Klar für neue Energie (S. 56-58) nachlesen: Marburg. Klar für die Zukunft!